Werte oder Zahlungsbereitschaften?

Cecil Graham: What is a cynic?
Lord Darlington: A man who knows the price of everything, and the value of nothing.
Cecil Graham: And a sentimentalist, my dear Darlington, is a man who sees an absurd value in everything and doesn’t know the market price of any single thing.

Die ökonomische Bewertung bzw. Inwertsetzung von Naturgütern (oder auch dem menschlichen Leben) wird häufig kritisiert als unmoralisch bzw. wichtige „moralische Werte“ außer Acht lassend. Wie kürzlich in einem Zeitungskommentar ausgedrückt, „wer mit Moral rechnet, braucht mit Moral nicht zu rechnen“. Ist diese Kritik denn gerechtfertigt?

Die Antwort ist einmal wieder ein emphatisches „Das kommt drauf an!“. Das Problem mit der ökonomischen BeWERTung bzw. InWERTsetzung beginnt, wie so oft, bereits mit dem Begriff. Was ökonomische Bewertungsstudien eigentlich ermitteln, ist die Zahlungsbereitschaft für eine Änderung im Angebot eines Gutes oder die Bereitschaft, für eine solche Änderung Kompensationszahlungen zu akzeptieren – je nachdem ob die Änderung positiv oder negativ ist. Nun ist es der eigenartigen Geschichte der ökonomischen Theorie geschuldet, dass diese Zahlungsbereitschaft als „Wert“ bezeichnet wird, während sowohl im Alltagsverständnis als auch (meistens – dazu gleich) in der Ethik „Wert“ eine wesentlich umfassendere Bedeutung hat.

Das Hauptproblem der ökonomischen Bewertung kommt zutage, wenn die aus ihr resultierenden Zahlungsbereitschaften als die einzig gültige Entscheidungsgrundlage interpretiert werden. In dem oben verlinkten Neues-Deutschland-Kommentar wird dies Hans Werner Sinn und der Münchhausen-Check-Redaktion implizit unterstellt – dass für sie eine Kosten-Nutzen-Analyse allein über die Frage „Einwanderung: ja oder nein“ entscheiden könne. Doch den meisten Ökonomen ist durchaus klar, dass damit nicht alles gesagt ist. Und doch hat eine Kosten-Nutzen-Analyse einen gewissen Charme, weil sie objektiv und nicht-normativ sei, wie oft behauptet wird. Denkste.

Die Attraktivität der ökonomischen Bewertung/der Kosten-Nutzen-Analyse resultiert daraus, dass sie sich um Werte im ethischen Sinne des Wortes kaum kümmert. Ich schreibe bewusst „kaum“, weil auch die Ökonomie eine ethische Grundlage hat – und zwar den Utilitarismus bzw. im weiteren Sinne den Konsequentialismus. Diese Klasse von ethischen Theorien besagt, dass nur die Befriedigung menschlicher Gelüste/Präferenzen/Wünsche moralisch relevant ist. Was sie befriedigt, ist wertvoll. Dass dies zutiefst problematisch ist, weil manche z. B. aus Sadismus Befriedigung ziehen, ist heutzutage relativ klar und hat auch den Vordenkern des Utilitarismus Kopfschmerzen bereitet (insbesondere John Stuart Mill). Nichtsdestotrotz: Utilitarismus ist die ethische Grundlage der Ökonomie. In diesem Sinne ist ökonomische Bewertung sicherlich nicht bar jeglicher Normativität und wahrscheinlich auch nicht objektiv – aber sie ist auf eine gewisse Art und Weise demokratisch. Dies gilt natürlich nur unter der Voraussetzung, dass der Ungleichverteilung von Einkommen unter den „wertenden“ Subjekten durch Anpassungen oder Gewichtungen Rechnung getragen wird – dann aber lässt sich durchaus sagen, dass die ökonomische Bewertung das vox populi widerspiegelt. (An dieser Stelle abstrahiere ich von den vielen technisch-methodischen Problemen konkreter Bewertungsmethoden.) Sie drückt die Zahlungsbereitschaft (=Meinung) von Bürgern zu einem bestimmten Thema aus, ohne danach zu fragen, woher diese Zahlungsbereitschaften/Meinungen kommen.

An dieser Stelle wird offensichtlich, was der Unterschied zwischen ökonomischer Bewertung einerseits und einem Diskurs über moralische Werte andererseits ist. Die aggregierte Zahlungsbereitschaft spiegelt viele verschiedene Wertungen wider, die sich durchaus widersprechen mögen, die inkonsistent sein können etc. Sie hat also eigentlich eine gänzlich andere Rolle als eine öffentliche Diskussion über (moralische) Werte. Sie gibt bestenfalls Auskunft über die Auswirkung der in der Bevölkerung vorhandenen Motive – nicht über die Motive selbst. Über diese kann man sich trotzdem weiterhin streiten, und das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse hat im Kontext entsprechender öffentlicher Diskussionen keinen normativen Stellenwert.

Was ist das Ergebnis ökonomischer Bewertung nun? Sind es Preise? Werte? Oder einfach Zahlungsbereitschaften? Ich denke, eigentlich ist der letzte Begriff am sinnvollsten hier, weil er genau und nur das beschreibt, was Ergebnis einer ökonomischen Bewertung ist. Verwendet man den Begriff „Werte“, läuft man Gefahr, Zahlungsbereitschaften einen normativen Status (bzw. den Anspruch auf solchen) zu unterstellen, den sie gar nicht haben können. Der Begriff „Preise“ ist ebenfalls verwirrend (und ebenfalls aus der Geschichte der ökonomischen Theorie resultierend, denn Zahlungsbereitschaften für nicht auf Märkten gehandelte Güter heißen tatsächlich auch Schattenpreise), weil wir ihn normalerweise für Güter verwenden, die wir kaufen können, wohingegen ökonomische Bewertung meistens mit öffentlichen Gütern beschäftigt ist – die man nicht im üblichen Sinne kaufen kann. Also Zahlungsbereitschaften.

Haben Zahlungsbereitschaften in Diskussionen über Umwelt oder Gesundheitsrisiken eine Daseinsberechtigung? Ist es wirklich zynisch, sich mit ihnen zu befassen? Mit dieser Frage plage ich mich schon seit einigen Jahren herum. Einerseits, wie bereits angeführt, ist die Aussagekraft von Zahlungsbereitschaften ziemlich beschränkt und lediglich deskriptiv, nicht normativ (außer in den Augen von Konsequentialisten, einer zunehmend seltenen Spezies). Andererseits verursachen Umweltschutz, das Gesundheitssystem oder eben die Aufnahme von Asylanten Kosten. Es ist nicht grundsätzlich illegitim, zu ermitteln, wie viel von diesen Kosten Menschen bereit sind zu tragen. Man sollte sich aber vor Augen halten, dass die zugrunde liegenden Motivationen aus verschiedensten Gründen verwerflich, inkonsistent oder einfach auf falschen/unvollständigen Informationen basierend sein können. Mit einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse ist nie das letzte Wort gesagt. Eigentlich eröffnet sie die entsprechende Diskussion erst.

P.S. Meine Diskussion hier gilt für ökonomische Bewertung im Sinne der Ermittlung von Zahlungsbereitschaften für Güter, die keine Marktpreise haben. Für Kosten-Nutzen-Analysen der Art wie die im Neuen Deutschland kritisierten Berechnungen durch Hans Werner Sinn und die Leute vom Münchhausen-Check, die letztendlich nur Marktpreise einbeziehen, gilt sie nur teilweise. Vor allem haben solche Kosten-Nutzen-Analysen den „demokratischen“ Charakter nicht. Gleichwohl denke ich nicht, dass sie illegitim sind. Für gesellschaftliche Entscheidungen sind ökonomische (Netto-)Kosten eine relevante Grundlage. Bloß sollten sie nicht die einzige sein.

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