Bevölkerungs(Post-)wachstum

I = PAT.

Diese simple Formel spiegelt das wider, was oft abwertend als Neomalthusianismus bezeichnet wird. Der (negative) Einfluss des Menschen auf die Biosphäre (impact, I) berechnet sich aus der Bevölkerungszahl (population, P), dem durchschnittlichen Wohlstandsniveau (affluence, A) sowie der durchschnittlichen Ressourcenintensität der Produktion von Waren und Dienstleistungen (technology, T). Da wir wissen, dass die Weltbevölkerung unaufhaltsam wächst, und dass der materielle Wohlstand in China, Indien, Brasilien und anderen bevölkerungsreichen Ländern ebenfalls wächst, sieht es für die Biosphäre schlecht aus. Oder?

Weltbevölkerungsentwicklung seit etwa der Neolithischen Revolution. [Quelle: Wikimedia Commons.]
Angefangen mindestens mit Thomas Robert Malthus rangen und ringen verschiedene Denker mit der Frage, was Bevölkerungswachstum angesichts begrenzter Ressourcen bedeutet, bzw. generell mit dem Zusammenhang zwischen Bevölkerung und Ressourcenverbrauch. Dies nahm gerade in der heutzutage sogenannten Postwachstums-Debatte mitunter abwegige Züge. So wurde ein Buch von Paul Ehrlich (der Autor der IPAT-Formel) und seiner Frau Anne berühmt-berüchtigt, das den bezeichnenden Titel The Population Bomb trug. Kenneth Boulding, und mit ihm auch Herman Daly, beides Urväter der Wachstumskritik, zeigten sich Geburtenkontrolle á la China zugeneigt und schlugen – Ökonomen, die sie waren – kurzerhand ein cap-and-trade-System für „Geburtenzertifikate“ vor: eine fragwürdige Idee, sowohl was ethische Konsequenzen als auch Praktikabilität anbetrifft. Interessanterweise berief sich Daly dabei auf den Urvater des britischen Liberalismus John Stuart Mill, der in seinem Klassiker On Liberty tatsächlich schrieb:

Und es werden mehr… [Quelle: Wikimedia Commons]

in a country either over-peopled or threatened with being so, to produce children, beyond a very small number, with the effect of reducing the reward of labour by their competition, is a serious offence against all who live by the remuneration of their labour. The laws which, in many countries on the Continent, forbid marriage unless the parties can show that they have the means of supporting a family, do not exceed the legitimate powers of the State: and whether such laws be expedient or not (a question mainly dependent on local circumstances and feelings), they are not objectionable as violations of liberty. Such laws are interferences of the State to prohibit a mischievous act

Eine andere seltsame Politikempfehlung von Daly bestand in der Verschärfung von Migrationsbeschränkungen. Und gerade dieser Punkt zeigt die Abwegigkeit der Obsession insbesondere der frühen Postwachstums-Denker mit Bevölkerungswachstum. Eine triviale Antwort auf Dalys Vorschlag besteht in dem Hinweis, dass die meisten Umweltprobleme heutzutage globaler Natur sind – Abschottung einzelner Länder schützt sie nicht vor ihnen. Doch vielleicht wichtiger ist ein anderer Punkt, der den Kern meines heutigen Beitrags widerspiegelt: es ist ein statistisches Faktum (bitte um Entschuldigung dieses Oxymorons), dass es eine Korrelation zwischen durchschnittlichen Fertilitätsraten und Wohlstandsniveau gibt. Natürlich ist eine Korrelation nicht mit einem Kausalzusammenhang gleichzusetzen – gerade im Fall des Zusammenhangs zwischen Fertilität und Wohlstand dürfte die Sache recht komplex sein. Zum einen ist die Richtung der Kausalität unklar (niedrige Fertilität -> Wohlstand oder anders herum, oder vielleicht beides), zum anderen scheinen bestimmte „Begleiterscheinungen“ materiellen Wohlstands mindestens genauso stark die Fertilität beeinflussen zu können, wie dieser selbst (Demokratie, Bildung, Zugang zu Medizinleistungen einschließlich Verhütungsmittel, Sicherheit in allen erdenklichen Dimensionen etc.). Es ist jedoch nachvollziehbar, jenseits der Statistik, dass Menschen, für deren materielles Wohl gesorgt ist, die in Sicherheit leben, die gebildet sind und Zugang zu Familienplanung haben, denen individuelle Entfaltungsmöglichkeiten offenstehen, nicht allzu viele Kinder bekommen – zum einen wegen der Anreizstrukturen und Opportunitätskosten, zum anderen wegen der Einflussmöglichkeiten auf die eigene Fertilität (dies betrifft natürlich vor allem Frauen).

Zurück zu Dalys Migrationsbeschränkungen – vor dem Hintergrund des oben geschilderten Zusammenhangs könnte es langfristig betrachtet gerade sinnvoll sein, Grenzen zu öffnen, damit Menschen aus ärmeren, „fruchtbareren“ Ländern durch die Einwirkung der oben genannten Faktoren zu weniger zahlreichem Nachwuchs „bewegt werden“. Die Betonung liegt hierbei auf „langfristig“ – da Sterberaten durch den Umzug in eine wohlhabendere Gesellschaft relativ schnell sinken, während die kulturell bedingten Geburtenraten etwas längerer Anpassungszeiträume bedürfen, würden offene Grenzen kurzfristig wohl zu einem Anstieg der Rate des Bevölkerungswachstums führen.

Aufgrund der ethischen Fragwürdigkeit der Vorschläge von Boulding und Daly vertrauen viele umweltbewegte Forscher und Aktivisten eher auf entwicklungspolitische Strategien zur Senkung von Geburtsraten, wobei diese eher ein Nebeneffekt ist, während das Hauptziel das weit verstandene Wohlergehen der betreffenden Menschen ist. Man kann natürlich argumentieren, dass dies möglicherweise nicht ausreicht, weil man die „Armen“ nicht schnell genug umstellen kann, bevor der Kollaps kommt. Zweierlei ist dagegen zu sagen: erstens, es ist schwer, gegen die sogenannten reproduktiven Menschenrechte argumentieren, selbst wenn die Zukunft der Menschheit auf der Kippe steht, weil diese Rechte dem Individuum zustehen, dessen Einfluss auf die Biosphäre marginal ist, selbst wenn es sich für 20 Kinder entscheidet. Zweitens ist die Problematik generell wesentlich komplexer, als die Ehrlich-Gleichung und UN-Bevölkerungsprognosen nahe legen. So sind die Populationen der Länder mit dem höchsten ökologischen Fußabdruck seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, rückläufig (Beispiele s. Tabelle unten) – was mit einer ganzen Palette von Problemen verbunden ist, die eine alternde Bevölkerung mit sich bringt – mit der Finanzierung von Renten- und Gesundheitssystemen angefangen bis hin zum kulturellen Wandel.

Land Fußabdruck/Biokapazität (2007)* Fertilitätsrate (UN, 2012)**
USA 2,1 1,97
China 2,2 1,66
Deutschland 2,6 1,42
Indien 1,8 2,5
Frankreich 1,7 1,98
UK 3,6 1,88
Japan 7,9 1,41
Brasilien 0,3 1,82
Welt 1,5 2,5

* Die angegebene Maßzahl vergleicht die „Ressourcenkapazität“ eines Landes mit seinem Bedarf an Ressourcen, kann also vereinfacht verstanden werden als die Anzahl der Erden, die man bräuchte, um langfristig den globalen Ressourcenbedarf zu decken, wenn er dem des betreffenden Landes entspräche (d.h., würden alle leben wie die Deutschen, bräuchten wir langfristig 2,6 Erden). ** Die sogenannte Nettoreproduktionsrate, die notwendig ist, damit die Bevölkerung konstant bleibt, liegt im globalen Norden bei etwa 2,1 Kindern pro Frau.

Die Bevölkerungsprognosen internationaler Organisationen, insbesondere in Verbindung mit Prognosen zum Wachstum materiellen Wohlstandes (und der mit ihm verbundenen Ansprüche) gerade der Entwicklungs- und Schwellenländer sind nochmal ein anderes Paar Schuhe. Sie befeuern oft Ängste um die Zukunft der Menschheit; Ernährungs- und Energieversorgungssicherheit scheinen auf dem Spiel zu stehen. Doch sind diese Prognosen relativ schlichte Extrapolationsübungen und damit in vielerlei Hinsicht recht naiv. Sie übersehen eine Vielzahl von sie eigentlich relativierenden Faktoren: die Korrelation zwischen dem Wohlstandswachstum und dem Sinken der Fertilitätsraten, insbesondere in Verbindung mit Migrationsströmen hin zu den reicheren Weltregionen; oder den Einfluss regionaler und lokaler Ressourcenknappheit auf die Bevölkerungs- und die wirtschaftliche Entwicklung (besonders hervorzuheben sei hier Afrika, bei dem es kaum vorstellbar ist, angesichts seiner heutigen Probleme, dass sich seine Bevölkerung gemäß der UN-Prognosen verdoppeln sollte). Dies heißt natürlich nicht, dass es Grund zur Entwarnung gäbe – bloß dürfte die Zukunft etwas anders aussehen als die UN-Demografen sie malen. Wie ein Bevölkerungsforscher es in einem Zeit-Artikel ausdrückte, bezogen auf das mittlere 9-Milliarden-UN-Stabilisierungsszenario:

Auch die mittlere Variante bedeutet, dass sich die Völker der überwiegend in der Sahara gelegenen Staaten Tschad, Mali und Niger bis 2100 verdreifachten, vervierfachten respektive versechsfachten. Auch das ist angesichts der agrarischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Länder kaum vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, dass die Menschen verhungern, sich gegenseitig umbringen, flüchten oder sich aus anderen Gründen weniger stark vermehren.

Was heißt das alles nun? Die globale Bevölkerungsentwicklung bleibt ein nachhaltigkeitsrelevantes Problem. Doch ist das Problem wesentlich komplexer als die IPAT-Formel und UN-Bevölkerungsprognosen es erscheinen lassen. Daher lassen sich auch keine leichten Schlussfolgerungen aus dieser verworrenen Faktenlage ziehen – Geburtenkontrolle ist eben nicht die Lösung (interessanterweise kehrt China gerade von seiner Ein-Kind-Politik ab – laut manchen Kommentatoren viel zu spät, weil seine Bevölkerung bereits seit Langem „aus freien Stücken“ schrumpft und altert). Auch eine 9- oder 12-Milliarden-Menschen-Welt ist eher unwahrscheinlich. Was nicht heißt, dass die Alternative schöner ist: die zu erwartenden Schrumpfungsprozesse dürften schmerzhaft werden – viel schmerzhafter als das, womit der globale Norden gerade zu kämpfen hat, weil es im Süden dann nicht um die Frage „Wie hoch wird meine Rente?“ gehen wird, sondern „Überlebe ich?“. Wahrscheinlich liegt der große Anteil an Verantwortung dafür, dass diese düsteren Szenarien vielleicht doch nicht Realität werden, im globalen Norden – doch da ist die Bevölkerungsfrage eher irrelevant. Es geht vielmehr um eine drastische Senkung des ökologischen Fußabdrucks, wozu ein umfassender kultureller Wandel notwendig sein wird; sowie um eine gerechtere Verteilung des Wohlstands zwischen Nord und Süd.

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